Sonntag, 7. März 2010

KINDESMISSBRAUCH - DAS LECHZEN NACH DEM FINGER

In diesen Tagen vergeht kaum eine Stunde Radioübertragung ohne die Berichterstattung und Diskussion über ein Thema, das eigentlich vor langer Zeit hätte abgeschlossen werden müssen: Im hessischen Heppenheim wurden in den 70er Jahren Duzende Schüler schwerwiegend sexuell missbraucht, die Einzelheiten dessen werden in den lokalen und nationalen Nachrichten in Fett- und Laufschrift abgedruckt. So titelte Deutschland's kontroversestes Blatt: "Schüler an Odenwaldschule zu sexuellen Diensten eingeteilt". Die Art dieser Informationsübermittlung einmal außen vor gelassen, verwundern mich an der ganzen Sache noch einige andere Komponenten.

Die eine Frage liegt klar auf der Hand, wieso in Gottes Namen wird dieser Fall fast 40 Jahre später nocheinmal aufgerollt? Wer sich tiefer in die Materie begibt, findet darauf allerdings schnell eine Antwort. So wird in einem aktuellen Artikel der Zeit erwähnt, dass sich die Schule kurz vor der Feier des 100-jährigen Bestehens befindet. Ein geeigneter Zeitpunkt also, um dem angestauten schlechten Gewissen und der damit einhergehenden schlechten Publicity in aller Öffentlichkeit einmal kräftig in den Hintern zu treten. Wie vorbildlich.
Das eigentlich interessante gab nun aber Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anette Schavan, von sich: Ihr tiefes Unverständnis gegenüber solchen Taten bekundend, forderte sie lautstark neue Aufklärungswellen, um Kindesmissbrauch an deutschen Schulen besser vorbeugen zu können. Unklar ist nur: Wieso bewirkt nun ein längst verjährter Prozess einen solchen Aktionismus in der 54-jährigen CDU-Politikerin? Ist es nicht vielmehr so, dass die Not zum Handeln gar nicht in der Aufklärung der Schülerinnen und Schüler liegt, sondern vielmehr darin, die von den Medien aufgeheizten Gemüter mit großen Worten zu stopfen? Überlegen wir einmal gemeinsam, was wäre die Alternative zu dieser ganzen Farce?
Angenommen wir hätten eine untätige Anette Schavan, in etwa so untätig wie das Gericht, dass den ehemaligen Schulleiter Gerold Becker aufgrund eines für ihren Geschmack zu großen zeitlichen Abstandes nicht verklagen möchte. Eine solche Bildungsministerin würde von der Opposition zerpflückt, von den Zeitungen des Landes als passiv oder schlimmer: anteilnahmslos abgestempelt werden. Das moralische Echo unserer Gesellschaft, die - welch' ein Glück - noch zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch unterscheiden kann, fordert in unserer Ministerin eben jenen puren Aktionismus, den sie in diesen Stunden an den Tag legt. Dabei hinterfragt niemand, ob Aufklärung, ein so gerne- und vielzitiertes Wort, überhaupt das ist, woran es mangelt, oder besser mangelte, damals, in den 70er Jahren.
Heute sind die Kinder bereits aufgeklärt, die Missbrauchsfälle an den Schulen sind in unserer heutigen Zeit zwar noch immer kein Thema, welches man vernachlässigen sollte, aber immerhin schon beträchtlich zurückgegangen. Eltern reden heute konkreter über das, was ihre Kinder beschäftigt, oder wer sich ungefragt mit ihnen beschäftigt. Der "fremde Mann mit den Welpen im Kofferraum" ist keine fiktive Gestalt mehr, sondern eine Bedrohung, die auch Kinder heute viel besser erkennen können. Nicht zu vergessen ist auch, dass sich die Institution Schule in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt hat. Die Eltern gucken hin, der Unterricht verläuft eine ganze Ecke transparenter und mit dem Verschwinden der "Prügelstrafe" zu weiten Teilen auch menschlicher ab.
Der Vorwurf der sich aus der ganzen Thematik nun ableiten ließe, sollte aber nicht gegen Frau Schavan gerichtet werden, denn sie ist in dem Ganzen nur die Marionette an den Fäden. Es scheint nur, als müsste der Mensch sich durch das Lechzen nach dem bösen Finger der Minister ins Gedächtnis rufen, dass er zum moralischen Denken und Handeln befähigt ist. Selbst wenn die Gräueltat schon nicht mehr ins derzeitige Jahrtausend fällt.

1 Kommentar:

  1. Diese vielen Fälle werden doch meistens deshalb aufgerollt, weil sich die Opfer erst nach langer Zeit der Verstörung und des Schocks eingestehen, dass es besser ist, nicht den Mund zu halten. Dieser schwere Schritt kommt meist zu spät, weshalb ich für eine Abschaffung der Verjährungsfristen in Missbrauchsfällen bin.

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