Dienstag, 31. August 2010

Der Aufstieg des
Katastrophen- Kapitalismus

von Naomi Klein

Was denken sich die Leser dieser Internetpräsenz bei einem solchen Titel? Wohlmöglich ist diese Frage gar nicht zu stellen und ich kann ganz genau verstehen, wie und warum reihenweise die Augenbrauen hochgezogen und die Nasen gerümpft werden. Lasst mich eines vorweg schicken: Aufgrund des Titels habe ich mir die frisch zurückliegenden 658 Seiten sicher nicht zu Gemüte geführt. Ehrlich gesagt, war es sogar jener, zunächst wirklich sehr populistisch anmutende Name dieses Schriftstückes, der mich vom Zugreifen abhalten sollte. Erst beim näheren Hinsehen bemerkte ich dann aber, dass sich Naomi Kleins "brilliantes, mutiges und beängstigendes Buch" - wie es auf der Rückseite angepriesen wird - nicht umsonst neben abgegriffenen Toskana-Kochbüchern und Glücksratgebern von B-Prominenten befand; es war einfach spottbillig. Eine Kombination aus Sparfuchs in mir, schlichtem Geldmangel und der Neugierde nach einem Buch, welches aufgrund eines doch sehr gewagten Titels eigentlich keine Chance verdient gehabt hätte, ließ mich meine letzten 2,50 € für diesen Monat also doch in - wie ich mir zunächst sicher war - wackelige, unfundierte politische Meinungsmache investieren.

Ihr wisst, was jetzt kommt. Es sollte alles anders kommen.
Die ersten einhundert Seiten lesen sich leicht und locker. Was eventuell auch damit zu tun hat, das man nicht wirklich das Gefühl bekommt, mit Informationen gefüttert zu werden, die man tatsächlich auch behalten soll. Bis heute weiß ich nicht, ob dies von der Autorin beabsichtigt ist, doch auf den ersten einhundertundsechs Seiten, in Teil I von VII, wird mir eine so große Bandbreite an Zahlen, Namen, Meinungen und Schicksalen aufgetischt, dass es schwierig gewesen wäre, Rückschlüsse auf ein spezifisches Buchthema zu ziehen. Erzählt wird zunächst die Geschichte von Ewen Cameron, einem grausamen Psychiater im Dienste der CIA, der in den 50er Jahren und über weite Teile des Kalten Krieges hinweg, fragwürdige Experimente durchführte. Mit dem Ziel, die vollständige Bewusstseinskontrolle eines Patienten zu erlangenund im Zuge dessen, eine völlig neue Persönlichkeit zu erschaffen ("Tabula Rasa"), ließ er Menschen, die unter leichter Migräne oder Depressionen litten, mittels Elektroschocktherapie und LSD-Behandlung auf den Level eines "Kleinkinds" abstumpfen, das "keine Erinnerung" an seine Herkunft und sein Umfeld ersichtlich machen kann. (Wikipedia)

Empört, geschockt und zutiefst ungläubig über das, was ich dort lese, schlage ich eifrig nach und werde schnell dem eigentlichen Thema dieses Buches ferner und ferner gebracht. Wie in aller Welt würde Mrs. Klein den Bogen zu heutigen politischen Belangen und der im Buchtitel so dezent platzierten Kapitalismuskritik spannen? Ich jedenfalls bin gespannt und werde schnurstraks mit einem völlig anderen Thema konfrontiert: Hurricane Katrina. Dieses Buch möchte mich also zunächst im Regen stehen lassen, denke ich mir. Nach Katrina und der Kritik an der Wiederaufbauhilfe, die in den Monaten und Jahren nach den verheerenden Verwüstungen nur stockend vorangekommen ist, wird die Sachlage nun doch konkretisiert. Mit Milton Friedman wird ein Mann vorgestellt, dem von der ersten Seite seiner Erwähnung an ein eiskalter Wind der Verachtung aus Richtung der Schriftstellerin entgegenwehte. Milton Friedman war mir ein Begriff, hatte meine ehemalige Gmk-Lehrerin ihn doch in einem Atemzug mit noch bekannteren Wirtschaftstheoretikern wie Adam Smith oder John Maynard Keynes genannt. Was sie dabei vergessen hatte war, zu erwähnen, dass dieser Mann scheinbar mehr als nur bloßer "Theoretiker" war.

In übersichtlich strukturierten Kapiteln und weiteren Abschnitten werden dutzende Fallbeispiele für eine Wirtschafts- und Politstrategie vorgestellt, die die Autorin als "Schock-Strategie" oder gelegentlich auch als "Katastrophen-Kapitalismus-Komplex" beschreibt. Milton Friedman, im Winter 2006 in hohem Alter verstorben, brachte mit seinen liberalen Wirtschaftstheorien - zu Papier gebracht vor allem in seinem populärsten Werk "Kapitalismus und Freiheit" (1962) - das Gedankengut in die Startlöcher, das in Fachkreisen als "Washingtoner Konsens" der "Chicagoer Schule" bekannt ist. Viele Fachbegriffe und Neologismen - was verbirgt sich dahinter?

- Friedman war in den 40er bis 70er Jahren Professor der University of Chicago und arbeite während der Diktatur Pinochets in Chile sowohl mit der CIA als auch mit der Amerikanischen Regierung zusammen. Er unterrichtete zahlreiche chilenische Studenten in seinen Wirtschaftstheorien, verhalf ihnen mittels seiner guten Kontakte zu der mit US-Geldern finanzierten Militärjunta ranghohe Ämter in der chilenischen Regierung - Im Wirtschaftsministerium, der Finanzbehörde oder im Außenministerium. Friedmans Glaube zufolge, könne langfristiges Wachstum nur durch Privatisierungen, eine Deregulierung der Märkte, d.h. einer Öffnung des protektionistisch verwalteten chilenischen Marktes für mulitnationale, gewinnorientierte Konzerne und drittens, Einsparungen bei den Sozialausgaben erreicht werden.

"Die Schock-Strategie" bleibt allerdings keines Falls an der Stelle stehen, die neoliberale Wirtschaftsweise der Amerikaner zu rügen. Vielmehr werden in den darauffolgenden Kapiteln an Beispielen aus Ländern von fünf Kontinenten der Erde deutlich erkennbare Methoden der US-amerikanischen Intervention in die wirtschaftlichen Angelegenheiten souveräner Staaten hervorgehoben. Das Buch wird seinem Titel gerecht, als auf die Einzelheiten der militärischen Aktivitäten in Chile - etwa beim Sturz des demokratisch gewählten Salvador Allende durch Washington - und andernorts aufmerksam gemacht wird. Das Estadio Nacional de Chile, das während der Pinochets-Nixon-Herrschaft 1973 für die Inhaftierung, Folterung und Tötung von mehr als 40.000 Gefangenen umprepariert worden ist, das sog. "Veschwindenlassen" von Oppositionellen, das scheinbar überall dort in verstärktem Maße auftaucht, wo US-Militär im Einsatz ist, um einer neuen Regierung "auf die Beine zu helfen" (und um natürlich Schulen und Brunnen zu bauen) - Sprich überall auf der Welt. Wo wir schon im Nahen Osten sind - auch der Irak wird auf knapp einhundert Seiten thematisiert.

Naomi Klein stellt dabei eine besonders gewagte Behauptung auf: Die Interventionen der Amerikaner laufen alle nach ein und demselben, händeringend um Katastrophen bettelnden, Schema ab. Zunächst trifft ein Ereignis die Bevölkerung eines Landes mitten ins Herz; Egal ob eine Naturkatastrophe wie der Tsunami 2004 oder Catrina 2005, ein selbstangezettelter Krieg wie der Nahost-Konflikt im Irak oder der Fall einer Weltmacht wie die UdSSR - die Vorraussetzung für den ultimativen Schock, ob selbstinjiziert oder der Natur geschuldet, ist die Nacktheit der Bevölkerung, die keinerlei Zeit hat, sich auf das, was kommt vorzubereiten.

Einhergehend mit der Beschuldigung der US-Regierungen der 50er Jahre bis heute, von Konflikten auf der ganzen Welt wirtschaftlich zu profitieren, findet die Kanadierin kein gutes Wort für die, vielen so unabhängig erscheinenden, Institutionen wie der Weltbank oder dem IWF (Internationaler Währungsfond). Im zweiten Schritt der liberalen Anleitung für profithungrige Regierungen dieser Welt, werden die entstandenen Kosten der geschockten Länder zum eigenen Vorteil: Die größtenteils amerikanisch infiltrierten Geldgeber dieser Welt knüpfen die Bitten nach Aufbaugeldern oder Schuldenerlass an politische Bedingungen - eben jene friedman'schen Richtlinien eines "erfolgversprechenden" Marktes: Deregulierung, Privatisierung, Kürzung von sozialen Geldern.

Auf mehr als 600 Seiten und nach unzähligen Fallbeispielen - von Argentinien bis Polen, Guatemala bis in den Libanon, Südafrika nach Ende der Apartheid oder New Orleans im eigenen Land - sowie mehr als 80 Seiten reiner Quellenangaben und Querverweisen, schafft es Klein, ihren Lesern ein anderes Bild der letzten verbliebenen Supermacht der Erde zu verschaffen. Dabei relativiert sie die Bedeutung von illusionierten Gutmenschen wie mir als selbstverständlich angesehener Werte wie Zwischenmenschlichkeit, Solidarität und Moral und wägt sie gegen eine Hand voll Gold und ein erfolgreiches Börsenjahr ab.

Um es zur Abwechslung einmal mit knappen Worten statt langer Phrasen zu schildern: "Die Schock-Strategie" beschreibt den Krisenopportunismus der amerikanischen Geschichte - damals wie heute - und ist nicht zuletzt selbst ein Schock für jeden politsch-interessierten Leser, oder jeden anderen auch. Klar machen sollte man sich eines vorab allerdings dann doch: Wer dieses Buch einmal beginnt, sollte dies nicht ohne Kuli und Textmarker im Anschlag tun - auch wenn sich "Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus" dann nicht mehr zum Weiterverkauf eignen mag.

Dienstag, 24. August 2010

Filmreview

The Beach ~ Wie geht Gesellschaft im Paradies?

Nachdem ich zuletzt nach erstaunlich vielen Di Caprio - Filmen innerhalb kürzester Zeit wieder und wieder meinen Daumen hochachtungsvoll in die Höhe strecken musste, kam mir das ganze doch ein wenig spanisch vor. Was verband ich bis dato mit dem Namen "Di Caprio". Da gab es diesen Eklat über einen Eisdielenbesitzer im beschaulichen Bad Salzuflen in Nordrhein-Westfahlen, dem der Name seiner Eisdiele einen Rechtstreit mit dem Titanic-Star bescherte, da dieser selbigen für sich haben wollte. Abgesehen davon, dass ich mir für die Zukunft merkte, meine Eisdiele niemals nach einem scheinbar übergeschnappten italienisch-amerikanischen Schauspieler zu benennen, war mir der damals 25-jährige auf Anhieb unsympathisch. Nicht, dass der zwei Jahre zuvor erschienene Film über ein Schiff und einen Eisberg das ganze bereits in eine völlige andere Richtung gelenkt hätte, vielmehr war es so, dass dieser Fauxpas mich darin bestätigte, Leonardo Di Caprio nicht zu meinen Lieblingsschauspielern zu zählen.

Nach Blood Diamond, Shutter Island und Inception und daher rührend der Erkenntnis, dass dieser Mann eben doch ein unglaublich talentierter Schauspieler ist, wagte ich mich diese Woche in die düstere Vergangenheit seiner Filmographie.

"The Beach", zur Jahrtausendwende unter der Regie Danny Boyle's gedreht (ihr kennt ihn von Trainspotting, 28 ... Later oder Slumdog Millionaire) handelt, nüchtern formuliert, von einem Ausreißer, einem Rucksacktouristen aus den USA, der versucht, in Thailand das "wahre Leben" kennenzulernen und dabei auf das Paradies trifft. Zumindest auf den ersten Blick.

Richard Fischer ist Anfang 20 und gewillt, die Fesseln des amerikanischen Alltags hinter sich zu lassen und stürzt sich, zusammen mit seinen neuen französischen Freunden Étienne (Guillaume Canet) und Francoise (Virginie Ledoyen [!]) in ein Abenteuer: Der Legende nach gibt es ganz in der Nähe der touristischen Insel Ko Samui einen Strand, eine paradiesische Lagune und obendrein Hanffelder, die grenzenlosen Genuß versprechen. Als die drei dort tatsächlich ankommen, treffen sie auf eine ganze Gruppe anderer Abenteurer, die dort seit über einem halben Jahrzehnt in friedlicher Gemeinschaft ihren großen Traum leben. Für Richard beginnt sich das Paradies zu verwirklichen, das Ansehen in der Strandgesellschaft wächst und gedeiht, und selbst die schöne Francoise scheint in dem jungen Amerikaner mehr als nur einen guten Freund zu sehen.

Nach einigen Monaten zeigt die Idylle jedoch ihr wahres Gesicht und fletscht nach einem Haiangriff auf zwei der Strandbewohner buchstäblich ihre bedrohlichen Zähne - Da das Geheimnis des Paradieses um dessen genauen Standort nicht gelüftet werden darf, kann Hilfe nicht eingeflogen werden. Im Sterben liegend stellen sich die Verwundeten nun als große Last dar und gefährden obendrei die ausgelassene Stimmung in der Strandgemeinde - Grund genug um den leidenden Christo (Staffan Kihlbom) in den Dschungel zu bringen, um ihm dort seinem Schicksal zu überlassen.

Weiter zeigt sich die Kehrseite der Medaille mit anderen Beispielen: Angelockt durch eine Kopie der Landkarte, die Richard in Ko Samui zurückgelassen hatte, treffen weitere Abenteuerlustige auf der Insel ein. Richard wird daraufhin von der Gemeinschaft verstoßen. Die bewaffneten Hanfbauern, bis dato in Einklang lebend mit den Strandbewohnern, sehen ihr gemeinsames Abkommen verletzt, sie dort in Ruhe leben zu lassen, sofern keine weiteren Bewohner hinzu kommen. Der Anführerin der "Beachtruppe" wird nun die Wahl gelassen: Wenn sie weiterhin im Paradies leben wollen, muss der schuldige Richard getötet werden...

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Auch nach Inception und wie sie alle heißen, ist ein Blick in die Di Caprio'sche Vergangenheit definitiv zu empfehlen. The Beach mag auf den ersten Blick nur einer von unzähligen Teenie-Abenteuer-Filmchen sein, der auf keinen Fall in einem Atemzug mit den im gleichen Zeitraum erschienenen Klassikern Fightclub, American Beauty oder Memento genannt werden sollte - sicherlich rührt daher auch die harsche Kritik an der zwischenzeitlich - zugegeben - sehr gewagten Genreverschiebung gegen Ende des Filmes, die zunächst tatsächlich schwer einzuordnen ist. Nichtsdestotrotz muss dieser Film als eine (gelungene) Parabel für eine Gesellschaft gelten, die frei von allen Einflüssen an ihrer eigenen vermeindlichen Sorgenlosigkeit zerbricht. So grotesk bestimmte Abschnitte des Films auch anmuten (siehe Bild), Danny Boyle bringt zur Jahrtausendwende die gleichnamige Romanvorlage des englischen Schriftstellers Alex Garland mit einem Paukenschlag in die Kinos. Empfehlenswert für Di Caprio-Fans und jene, die es noch werden wollen - gleichwohl er für die Rolle des Richard für die Goldene Himbeere nominiert worden ist -, sowie für denjenigen, der Abenteuerfilm mit Nachdenken kombinieren möchte. Und nicht zuletzt für jene, die sich einfach nur unsterblich in Virginie Ledoyen verliebt haben, die französische Schauspielerin, die in der Rolle der Francoise das männliche Publikum entzückt, und mit Sicherheit auch Teile des weiblichens nicht unberührt lässt.


The Circumstance sagt:

8/10 Virginies für einen paradiesischen Auftritt!