Dienstag, 11. Mai 2010

WARUM DIE BURKA NICHT VERBOTEN WERDEN DARF

Die Burka ist ein Kleidungsstück, das von muslimischen Frauen auf der ganzen Welt getragen wird. Grundsätzlich kann das Tragen der Burka aus unterschiedlichen Gründen erfolgen. Diejenigen, die sich für ein konsequentes Verbot der Burka in europäischen Ländern aussprechen, führen die Bedeutung der Ganzkörperverschleierung als Symbol der Frauenunterdrückung an – jene, die einem Verbot skeptisch gegenüberstehen, lassen der traditionellen, theologischen und kulturellen Bedeutung des Kleidungsstückes Aufmerksamkeit zukommen. Als unantastbare Sicherheit ist aber nur eine Kombination aus beidem zu verstehen, Frauen tragen die Burka als Resultat ihrer Unterdrückung, andere aus persönlicher Überzeugung und damit freien Willens.

In Belgien wurde am 29. April 2010 ein Gesetz im Parlament nahezu einstimmig verabschiedet (136 von 138 Abgeordneten befür-worteten es), das das Tragen von Burkas in der Öffentlichkeit, beispielsweise auf der Straße und in Fußgängerzonen, mit einem Bußgeld, und bei mehrmaligem Verstoß mit weiteren Strafen, ahndet. Dieses Gesetz muss kommenden Sommer noch vom Senat abgesegnet werden, nach ersten Prognosen wird allerdings mit keinem größeren Widerstand gerechnet.


Welche Argumente bringen Burka-Gegner und Sympathisanten dieses Gesetzesentwurfes hervor?

Zunächst interpretieren sie die Burka als ein rein politisches Symbol, messen ihr in religiöser Hinsicht keine Bedeutung bei. So argumentiert der belgische Abgeordnete Daniel Bacquelaine:

Es hat nichts mit Religion zu tun. Natürlich stehen wir hinter dem Recht auf Religionsfreiheit aber ich denke, die Burka ist kein religiöses sondern in erster Linie ein politisches Symbol. Die Burka bekräftigt viele Werte, die im Gegensatz zu weltweiten Werten stehen.

Den Fehler macht Herr Bacquelaine an der Stelle, wo er den politisch begründeten Zusammenhang zwischen Burka und antiwestlicher Gesinnung vieler Muslime nicht als Neben- sondern als Hauptgrund und darüber hinaus als einzigen Sinn des Burkatragens abstempelt. Dies ist falsch. Die Tradition der Burka erstreckt sich über unzählige Jahrhunderte in die islamische Vergangenheit. Obwohl die Symbolik der Burka in Bezug auf die traditionell verankerte Ungleichberechtigung der Frau als mehr oder weniger unbestritten gelten kann, ist nichtsdestotrotz das Tragen der Burka – aus welchem Grund auch immer – eine bei muslimischen Frauen fest etablierte Tradition und Lebensweise, dessen Verbot einen erheblichen Einschnitt zum einen in die Privatsphäre, zum anderen in die Meinungs- und Glaubensfreiheit bedeutet.

Das Argument, die Burka diene – wie auch die arabische Niqab – der Unterdrückung der Frau und bedeute für sie die Verhinderung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, lässt sich mit der Forderung eines allgemeinen Verbotes nicht in Einklang bringen. Ein muslimischer Mann, der seine Frau dazu zwingt, sich täglich in eine Burka zu hüllen, hat ebenso die Mittel, seine Frau oder z.B. auch Schwester am Verlassen des Hauses zu hindern. Ein Verbot würde in diesem Fall die Menschenrechte, die es durchzusetzen versucht, indirekt weiter beschneiden und darüber hinaus auch der Vielzahl an freiwilligen Trägerinnen das Leben erschweren; Man versetze sich in eine Frau, die aus Überzeugung und Pflichtbewusstsein gegenüber ihrer Religion seit Jahrzehnten nur in Burka die Straßen ihrer europäischen Heimatstadt betritt – die Drohung einer Haftstrafe soll diese Frau nun dazu veranleiten, für eine intolerante Gesellschaft einen massiven Einschnitt in ihre bisherige Lebensweise zu dulden. Sofern die gänzliche Ausschließung der weiblichen muslimischen Minderheit in Europa nicht das eigentliche Ziel ist, kann dies nicht das Argument sein, durch welches ein belgischer Politiker guten Gewissens ein solches Verbot zu unterstützen bereit ist.

Weiter argumentieren die Befürworter, dass die innere Sicherheit des Landes gefährdet sei, sollte sich die Anzahl der Burkas erhöhen. Durch Kameraüberwachung sei nicht länger gewährleistet, jeden Menschen zu jedem Zeitpunkt identifizieren zu können. Beispiele aus der Vergangenheit belegen aber, dass mithilfe simpler, „legitimer“ Vermummung – beispielsweise durch das Tragen von Cappy, Schal, hochgestelltem Kragen und Sonnenbrille – der Kameraüberwachung an Flughäfen und Bahnhöfen zu entgehen kein allzu schweres Unterfangen ist. Ein Terrorist wäre durch ein Verbot der Burka, zumal er in aller Regel männlichen Geschlechtes ist, in keinster Weise benachteiligt – im Gegenteil: ein solches Verbot dürfte nachvollziehbarerweise für Aufschrei und Wut bei radikalen Islamisten dieser Welt sorgen und die Spannungen zwischen der westlichen und der islamischen Welt weiter verschärfen.

Ein Umstand, der die Glaubwürdigkeit des belgischen Parlaments zudem in Frage stellt, ist die Tatsache, dass eine richtige Staatsführung in dieser Form nicht existiert, da in Folge von internen Streitereien die VLD im April diesen Jahres ihren Rückzug aus der Regierung bekannt gab. Kurz vor den Neuwahlen, die wahrscheinlich im Juni stattfinden werden, könnten die Bemühungen um ein Burkaverbot, ein symbolisches Unterfangen, von welchem man sich viel Anklag und Zustimmung in der belgischen Bevölkerung erhofft hatte, aus rein strategischer Sicht zu bewerten sein. Darüber hinaus ist beachtlich, dass die betroffenen burkatragenden Frauen in Belgien gerade einmal auf ein paar Dutzend geschätzt werden, was die Frage nach der Dringlichkeit dieses Gesetzesentwurfes aufwirft.

Interessant sind auch die Umfragen in der Bevölkerung unterschiedlicher EU-Mitgliedsstaaten, durchgeführt von der „Foundation BBVA“. Auf die Frage, ob sie das Tragen der Burka im eigenen Land tolerieren, antworteten 56,6% der befragten Dänen und 46,5% aller schwedischen Befragten mit 'Ja' und bilden in diesem Belangen die Spitze Europas – ähnlich wie beim kontrovers diskutierten Pisatest.

Warum darf die Burka nicht verboten werden?

Wir, die westliche Hemisphäre, neigen dazu, mit zweierlei Maß zu messen. In der Debatte um den Minderheitenschutz von Migranten richten wir zur Rechtfertigung unserer teils radikalen Ansichten den Blick gerne auf die Situation von Europäern in islamischen Ländern. Das Argument, Toleranz nicht überbewerten zu müssen, da europäischen Touristen beispielsweise in muslimischen Moschéen das Fotographieren oder das Tragen von kurzen Hosen verboten wird, wird als Rechtfertigung verstanden – auch im Streit um die Burka. Dabei fällt vielen nicht auf, dass die jeweiligen Einschnitte, zum einen auf Seiten der Moslems in Europa, zum anderen auf Seiten der Europäer in muslimischen Staaten, nicht miteinander zu vergleichen sind. So werden wir durch diese Verbote im Gegensatz zu den hier integrierten Islam-Anhängern nicht in grundlegenden Menschenrechten eingeschränkt, müssen nicht unsere Lebensideologie umwerfen oder gar eine andere Kultur adaptieren. Prinzipiell herrscht das Problem vor, dass ein undefinierbares, paranoides Unbehagen einer oberflächlichen, intoleranten Gesellschaft stärker ins Gewicht fällt, als die drastischste aller Verletzungen, die ein Mensch erleiden kann – die Menschenrechts-verletzung – gegenüber einem Individuum.

Eine Debatte, die so Grundlegendes in Bezug auf unsere Gesellschaft beinhaltet, wird dadurch kurzerhand per Verbot unterbunden, welches in Bezug auf die Nachhaltigkeit der Problemlösung erhebliche Mängel aufweist. Desweiteren gilt es nicht den Finger auf die Intoleranz anderer Länder zu richten, um die eigene zu rechtfertigen. Nach demokratischer Überzeugung sollte es universell geltende ideologische Vorstellungen und Rechte geben, die jedem Menschen – unabhängig von Herkunft und Glauben – ein humanes Leben ermöglichen. Nach politischen Antworten auf westliche Fragen in Nah- und Fernost zu suchen, liegt uns doch sonst auch fremd, warum also nicht in dieser Angelegenheit? Vermutlich ist es ein willkommenes Geschenk, gleiches mit gleichem vergelten zu können. Wie sagte schon die Bibel, „Auge um Auge, Zahn um Zahn“...