Montag, 13. September 2010

Im Zweifel für den Zweifel - Tocotronic live

Am vergangenen Samstag spielte die Hamburger Band Tocotronic im beschaulichen Stadtpark ihr x-tes Konzert vor heimischer Kulisse - jene Band, die MTV-Kultmoderator Markus Kavka einst als eine der "wichtigsten deutschen Gruppen aller Zeiten" betitelte. Als ich um ca. 22 Uhr mit einem Lächeln den Nachhauseweg antrat, überlegte ich doch schon recht kritisch, welchen Eindruck das Konzert im Nachhinein auf mich hinterlassen hatte. Eventuell sagt bereits die Tatsache, dass es ein Lächeln war, ein richtiges, mit nach oben verschobenen Mundwinkeln und allem drum und dran, mehr als genug und dieser differenziertere Gedanke erübrigt sich deshalb. Trotzdem fällt mir im Rückblick auf diesen Abend eine eindeutige Aussage etwas schwer.

Einer der Faktoren, der mich in diesen Zeilen vom überschwänglichen Feiern dieser Band abhält, ist der Auftritt der Vorband. 1000 Robota, ebenfalls aus Hamburg und - wie meine reizende Begleitung beläufig verlauten ließ - gerne mal vor dem Molotow anzutreffen, wurde mir von selbiger im Vorfeld mit den Worten "3 kleine Jungs, die wie dumm auf ihren Instrumenten herumkloppen" prophezeit. Unbefangen, zumindest theoretisch vorurteilslos, machte ich mir ein eigenes Bild und bereits nach zehn Minuten hatte sich der Grad meiner Erwartungshaltung dem Nullpunkt genähert und die Messlatte für den Auftritt der Hauptacts hing unerwartet niedrig. Vielleicht ist es als cleveres System zu verstehen, eine Band vorauszuschicken, die die Menge unbefriedigt zurücklässt und sich nicht anders zu helfen weiß, als das Publikum daraufhin in überheblichster Manier zu verspotten.

Dann endlich wurden wir von unserem Leiden befreit und Tocotronic betrat die Bühne. Die Mischung aus alten und neuen Songs, Rockigem und Softem, Aufständischem und melancholisch Trübsal blasendem war klasse. Es schien, als wäre für jeden etwas dabei, die Herzen der Fans schienen richtig aufzugehen. Einige, unweit von mir und meiner Begleitung entfernt, sprang selbiges scheinbar zu doll, mussten per Crowdsurfing zu den Securitymännern und von dort zu den Sanitätern befördert werden. Alles in allem verlief es aber reibungslos, mal wurden Feuerzeuge, mal linke Fäuste geballt in den Himmel gestreckt. Bereits nach etwa einer Stunde verschwand die Band von der Bühne, wobei jedem klar war, dass laute "Zugabe"-Rufe die vier Jungs schon bald wieder antanzen lassen würden. Das passierte ganze drei Mal und mich beschlich der Gedanke, dass wir es hier mit einem Trend zu tun haben. Je häufiger ich mich auf Konzerten meiner Lieblingsbands tummel, desto häufiger erscheint es mir, als hätte das zum guten Takt gehörende Zugabe-Spielen seine ursprüngliche Bedeutung eingebüßt. Vielmehr kommt es mir so vor als spiele mittlerweile die Häufigkeit das Verschwindens und ach so unerwartet wieder Auftauchens eine größere Rolle, dass das unermüdlich klatschend und schreiende Publikum bei prächtiger Laune halten soll. Doch natürlich zeigte es seine Wirkung und ich verbannte diesen Gedanken recht schnell wieder aus meinen Kopf.

So bleibt diesem doch durchaus gelungenen Auftritt ein einziger Wermutstropfen; die ganz großen Klassiker der 90er und frühen 2000er blieben - begleitet von großen Unmutsäußerungen - dennoch ungespielt. Laute Kehlen, die erwartungsvoll und emotionsgeladen nach "Kapitulation", "Imitationen" oder den "Grenzen des Guten Geschmacks" schrien, verstummten trotzig unerhört und mussten mit guten Alternativen wie "Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit" oder "
Im Zweifel für den Zweifel" vorlieb nehmen. Apropos, Zweifel: Die letzten dieser Art waren nach der dritten Zugabe dann doch hinfortgefegt und mit einem melodischen Ohrwurm im Kopf verzogen sich die Massen, letztlich doch beglückt und zufrieden, in die Hamburger S1. Als Fazit bleibt ein schönes Konzerterlebnis, aber doch gleichzeitig die vollständige Stillung meines Bedürfnis nach dieser Band - zumindest bis zum nächsten Album.

Donnerstag, 9. September 2010

MITFAHRGELEGENHEIT - Filmdreh interaktiv

Der Weg eines Filmes von der Idee bis zur Vorführung im Kino ist - plump ausgedrückt - immer der gleiche. Nachdem ein Drehbuchautor seine Ideen in einem Skript festgehalten und ausformuliert hat, beginnt die engere Zusammenarbeit mit dem Regiesseur, sofern diese nicht ein und dieselbe Person sind. Die Aufgaben werden verteilt, Verträge mit Produzenten und Schauspielern abgeschlossen, Drehorte gewählt. Für jede Frage und jedes Belangen, egal ob Geld, Cast, Kostüme oder die kreative Umsetzung, sind professionelle und meist gut bezahlte Menschen an Ort und Stelle, die dafür sorgen, dass der Film in den Kinos am Ende die Kassen klingeln lässt.

Mitfahrgelegenheit ist der erste deutsche Film, der diesem System den Rücken kehrte, und damit beweist, dass auch unkonventionelle Methoden der Filmemacherei am Ende von Erfolg gekrönt sein können. Über die interaktive Webseite Filmtrip.de war es dem vorab über den Beginn der Dreharbeiten informierten Publikum erstmalig möglich, aktiv in das Geschehen vor und hinter der Kamera einzugreifen. Mittels Diskussionsplattform wurden die Besucher der Seite aktiv in den kreativen Schaffungsprozess mit eingebunden - live während der Dreharbeiten und der damit verbunden Reise der Crew, die chronologisch zu dem im Film thematisierten 'Roadtrip' von Karlsruhe bis ins spanische Gandia unterwegs waren. Unter anderem war es den Usern so möglich, Route, d.h. Drehorte, Handlungstränge und sogar die Besetzung selbst zu bestimmen - während des revolutionären Drehexperiments wurden so über 2600 Kommentare von Mitwirkenden abgegeben, die - einige mehr, andere weniger - direkt in das Skript und die Umsetzung eingeflossen sind. Besonders bei der Wahl des Soundtracks ließen die jungen Filmemacher aus der Nähe von Dresden den engagierten Leuten aus dem Netz freie Hand - so wurde vor allem in Deutschland beheimatete Qualitätsmusik von den Ohrbooten oder Clueso hochgevotet, heraus kam eine musikalische Untermalung die - weil vom Publikum selbst gewählt - auch genau den Nerv der Zeit trifft.

Alles in allem also ein Film, von Filmefreunden für Filmefreunde. Premiere feierte Mitfahrgelegenheit bereits im Juni 2008 in einem kleinen Berliner Kino. Finanziell gesehen war der Film erfolgreich, nicht weil er übermäßig hypte, sondern weil die sehr überschaubaren Produktionskosten den Streifen bereits sehr bald schwarze Zahlen schreiben ließen.

Aber worum geht es nun eigentlich? Das ist recht schnell erzählt, was über die Qualität des Filmes aber gar nicht so viel zu sagen hat. Frank ist Student, einer unter Tausenden. Finanziell abgesichtert von seinen gutsituierten Eltern, lernt er BWL - weil man damit später wenigstens "sicheres Geld" verdienen kann - zumal er in der Firma von Papa schon seinen Platz sicher zu haben scheint. Verliebt ist Frank auch - einziges Problem: Seine neue spanische Freundin studiert derzeit in Lyon. Um dieser spontan einen Besuch abzustatten, nimmt er die Mitfahrgelegenheit Thomas wahr, der mit dem Verkauf eines Wohnmobils in der französischen Stadt gutes Geld verdienen will. "Tom" entpuppt sich als völliger Gegenpol zu Frank - lebt in den Tag hinein, ohne zu wissen, was er morgen macht und auch davon abgesehen eher jemand, der sich für das Prinzip der Festen Bindung nicht wirklich begeistern kann.

Diese Mischung hält einiges an Konfliktpotential bereit - zumal die Reise unerwarteterweise kurzfristig bis nach Spanien ausgeweitet werden muss. Autopannen und durchnässte Arbeitspapiere sind da noch das kleinste Problem. Doch wie so oft wird immer mehr klar, dass der Weg das eigentliche Ziel ist und die Mifahrgelegenheit entpuppt sich für die zwei Reisenden als wahrer Roadtrip, der beide immer mehr von ihrer zunächst dickköpfigen Verschlossenheit gegenüber einander abrücken lässt.

Matthias Dietrich (ich hoffe, ihr kennt ihn nicht von GZSZ oder Verliebt in Berlin, sondern von einem seiner deutschen Filme) und der unbekanntere Martin Kaps verkörpern ihre Rollen als streitende Dickköpfe sehr authentisch und fallen durchweg positiv auf. Der Film wirkt lebendig und dynamisch, und das obwohl - oder eben weil - er sich auf einen einzigen, chronologisch ablaufenden Handlungsstrahl entlang der Autobahnen und Landstraßen Deutschlands, Frankreichs und Spaniens beschränkt. Nichtsdestotrotz erscheint die Causa "Roadmovie" nach dem einhundertsten Mal nun auch durchgekaut, viele der Probleme waren schlichtweg die logische Folge aus dem Mangel an sinnvollen Alternativen zu einer einwand- und unfallfreien Fahrt und letztlich irgendwo schon einmal gesehen.



Mit oder ohne Diesel im Tank - TheCircumstance sagt 7 1/2 von 10 Wohnmobile! Weniger die originelle Handlung als vielmehr die - ich sagte es bereits vorher - revolutionäre Art und Weise, die Kreativität des Zuschauers am Schaffungsprozess zu fordern und zu fördern. Thumbs Up!


METAPHER DES MOMENTS

Der Weg zur Liebe ist wie ein Kugellabyrinth. Gewagte These, dessen bin ich mir bewusst. Doch Liebe zu finden ist tatsächlich wie ein Kugellabyrinth - wobei der Weg vorbei an all den Komplikationen und Rückschlägen dem Weg vorbei an den 20 Löchern dieses Holzspielzeuges entspricht. Im richtigen Leben muss man manchmal wie eine Kugel auf einer schmalen Linie balancieren - eine Gratwanderung mit der permanenten Gefahr im Nacken, bei der kleinsten, zu ruckartigen Bewegung von vorne beginnen zu müssen, weil man in einem Loch versank. Nicht selten, ehrlich gesagt immer, hilft nur ein gründlicher Neuanfang. Abkürzen ist nicht drin. Eine der spärlich gesäten sicheren Ecken lädt zum Verweilen ein, doch nur wer mutig weitergeht wird am Ende sein Ziel erreichen und all das, was zwischendurch verzweifelt oft gelöchtert wurde, vergessen können.


Montag, 6. September 2010

"Deutscher unter den Toten eines Flugzeugabsturzes"?

Was inzwischen sicherlich kein Geheimnis mehr ist, ist die Tatsache, dass ich hin und wieder von der Internetseite der Wochenzeitung Die Zeit gebrauch mache. Seit ich vor drei Jahren für den Zeitraum von etwa sechs Monaten Abonnent war, habe ich eine recht hohe Meinung von diesem Blatt, zumal Wissen dort zum einen in großen Mengen, zum anderen - meines Erachtens - eben auch fundiert vermittelt wird. Anders als beispielsweise eine hier ungenannte Tageszeitung des Springer Verlages, fühlte ich mich nie genötigt, Vorwürfe des übermäßigen Populismus oder der Meinungsmache zu erheben.

Vorgestern hat mich nun aber ein Artikel aus der aktuellen Wochenausgabe aufhorchen lassen. Berichtet wurde von einem "Deutschen", der "unter den Toten eines Flugzeugabsturzes" zu beklagen sei. Die "Nationalität im Tod", wie diese sensible Thematik in dem ersten Kommentar von User red_sky treffend betitelt wurde, ist mir gegenüber in der Vergangenheit immer häufiger negativ in Erscheinung getreten. Nachrichtensprecher berichten davon, dass bei Geiselnahmen im Sudan unter den Entführten "auch 3 Deutsche" zu vermuten seien, als 2004 der Tsunami weite Teile Südostasiens verwüstete, waren desweiteren "über 500 deutsche Touristen unter den Opfern".

Zutiefst verwundert über das Format dieses - stolze elf Sätze langen - Berichtes, das den Tod eines Deutschen in den Mittelpunkt des Interesses und der Relevanz rückt, empfand ich die unter "Kommentare" darunter in Fahrt gekommene Debatte zumindest beruhigend, vermittelte sie mir doch das Gefühl, nicht der erste zu sein, den diese Art von Journalismus gehörig verunsicherte.

Dieser Artikel verkörpert das Ungleichgewicht der Betroffenheit, die der Tod eines Deutschen im Kontrast zu derer zwanzig neuseeländischer Einheimischer verursacht - in deutschen Medien und Leserkreisen wohlgemerkt! Völlig normal oder doch bedenklich? Vielleicht viel eher aber eine Mischung aus beidem, sind die Argumente sowohl von red_sky als auch diese seiner Gegenüber völlig nachzuvollziehen. Nicht zuletzt springt Spiderman - vom Grünen Kobold vor die Wahl gestellt - auch zuerst MJ hinterher, bevor er sich aufmacht, um die in der Seilbahn in die Tiefe stürzenden Kinder zu retten.

Trotzdem bleibt ein fahler Beigeschmack, erscheint es mir persönlich doch so, dass die Betonung der Nationalität in den letzten Jahren deutlicher geworden ist. Doch vielleicht ist das nichts weiter als ein Mittel, das direkt auf das von Fettes Brot besungene Phänomen der Medientaubheit zurückzuführen ist (An Tagen Wie Diesen). Wie erzeugt man Anteilnahme in einer Bevölkerung, die sich täglich einer Sintflut von neuen Sinneseindrücken und neuen Superlativen gegenübergestellt sieht? Vielleicht ist der Bezug zu dem Zeitungsleser und dem Nachrichtenschauer nur noch durch die letzte verbleibende Gemeinsamkeit herzustellen, die der "Mitte" unserer Gesellschaft noch etwas bedeutet. Nationale Zugehörigkeit. Dass allen neun Insassen der neuseeländischen Maschine das gleiche Blut durch die Venen floß, dass sie das gleiche Reiseziel anvisiert hatten und nicht zuletzt doch auch das gleiche Schicksal erleiden mussten, scheint dem von deutschen Medien gefütterten Konsumenten nicht genug zu sein. Letztlich haben doch diejenigen Recht, die den Medienverhassten wie mir auf die Schulter klopfen und sagen: "Ihr lest nicht das, was ihr aufgetischt bekommt. Ihr bekommt aufgetischt, was ihr lesen wollt."


Dienstag, 31. August 2010

Der Aufstieg des
Katastrophen- Kapitalismus

von Naomi Klein

Was denken sich die Leser dieser Internetpräsenz bei einem solchen Titel? Wohlmöglich ist diese Frage gar nicht zu stellen und ich kann ganz genau verstehen, wie und warum reihenweise die Augenbrauen hochgezogen und die Nasen gerümpft werden. Lasst mich eines vorweg schicken: Aufgrund des Titels habe ich mir die frisch zurückliegenden 658 Seiten sicher nicht zu Gemüte geführt. Ehrlich gesagt, war es sogar jener, zunächst wirklich sehr populistisch anmutende Name dieses Schriftstückes, der mich vom Zugreifen abhalten sollte. Erst beim näheren Hinsehen bemerkte ich dann aber, dass sich Naomi Kleins "brilliantes, mutiges und beängstigendes Buch" - wie es auf der Rückseite angepriesen wird - nicht umsonst neben abgegriffenen Toskana-Kochbüchern und Glücksratgebern von B-Prominenten befand; es war einfach spottbillig. Eine Kombination aus Sparfuchs in mir, schlichtem Geldmangel und der Neugierde nach einem Buch, welches aufgrund eines doch sehr gewagten Titels eigentlich keine Chance verdient gehabt hätte, ließ mich meine letzten 2,50 € für diesen Monat also doch in - wie ich mir zunächst sicher war - wackelige, unfundierte politische Meinungsmache investieren.

Ihr wisst, was jetzt kommt. Es sollte alles anders kommen.
Die ersten einhundert Seiten lesen sich leicht und locker. Was eventuell auch damit zu tun hat, das man nicht wirklich das Gefühl bekommt, mit Informationen gefüttert zu werden, die man tatsächlich auch behalten soll. Bis heute weiß ich nicht, ob dies von der Autorin beabsichtigt ist, doch auf den ersten einhundertundsechs Seiten, in Teil I von VII, wird mir eine so große Bandbreite an Zahlen, Namen, Meinungen und Schicksalen aufgetischt, dass es schwierig gewesen wäre, Rückschlüsse auf ein spezifisches Buchthema zu ziehen. Erzählt wird zunächst die Geschichte von Ewen Cameron, einem grausamen Psychiater im Dienste der CIA, der in den 50er Jahren und über weite Teile des Kalten Krieges hinweg, fragwürdige Experimente durchführte. Mit dem Ziel, die vollständige Bewusstseinskontrolle eines Patienten zu erlangenund im Zuge dessen, eine völlig neue Persönlichkeit zu erschaffen ("Tabula Rasa"), ließ er Menschen, die unter leichter Migräne oder Depressionen litten, mittels Elektroschocktherapie und LSD-Behandlung auf den Level eines "Kleinkinds" abstumpfen, das "keine Erinnerung" an seine Herkunft und sein Umfeld ersichtlich machen kann. (Wikipedia)

Empört, geschockt und zutiefst ungläubig über das, was ich dort lese, schlage ich eifrig nach und werde schnell dem eigentlichen Thema dieses Buches ferner und ferner gebracht. Wie in aller Welt würde Mrs. Klein den Bogen zu heutigen politischen Belangen und der im Buchtitel so dezent platzierten Kapitalismuskritik spannen? Ich jedenfalls bin gespannt und werde schnurstraks mit einem völlig anderen Thema konfrontiert: Hurricane Katrina. Dieses Buch möchte mich also zunächst im Regen stehen lassen, denke ich mir. Nach Katrina und der Kritik an der Wiederaufbauhilfe, die in den Monaten und Jahren nach den verheerenden Verwüstungen nur stockend vorangekommen ist, wird die Sachlage nun doch konkretisiert. Mit Milton Friedman wird ein Mann vorgestellt, dem von der ersten Seite seiner Erwähnung an ein eiskalter Wind der Verachtung aus Richtung der Schriftstellerin entgegenwehte. Milton Friedman war mir ein Begriff, hatte meine ehemalige Gmk-Lehrerin ihn doch in einem Atemzug mit noch bekannteren Wirtschaftstheoretikern wie Adam Smith oder John Maynard Keynes genannt. Was sie dabei vergessen hatte war, zu erwähnen, dass dieser Mann scheinbar mehr als nur bloßer "Theoretiker" war.

In übersichtlich strukturierten Kapiteln und weiteren Abschnitten werden dutzende Fallbeispiele für eine Wirtschafts- und Politstrategie vorgestellt, die die Autorin als "Schock-Strategie" oder gelegentlich auch als "Katastrophen-Kapitalismus-Komplex" beschreibt. Milton Friedman, im Winter 2006 in hohem Alter verstorben, brachte mit seinen liberalen Wirtschaftstheorien - zu Papier gebracht vor allem in seinem populärsten Werk "Kapitalismus und Freiheit" (1962) - das Gedankengut in die Startlöcher, das in Fachkreisen als "Washingtoner Konsens" der "Chicagoer Schule" bekannt ist. Viele Fachbegriffe und Neologismen - was verbirgt sich dahinter?

- Friedman war in den 40er bis 70er Jahren Professor der University of Chicago und arbeite während der Diktatur Pinochets in Chile sowohl mit der CIA als auch mit der Amerikanischen Regierung zusammen. Er unterrichtete zahlreiche chilenische Studenten in seinen Wirtschaftstheorien, verhalf ihnen mittels seiner guten Kontakte zu der mit US-Geldern finanzierten Militärjunta ranghohe Ämter in der chilenischen Regierung - Im Wirtschaftsministerium, der Finanzbehörde oder im Außenministerium. Friedmans Glaube zufolge, könne langfristiges Wachstum nur durch Privatisierungen, eine Deregulierung der Märkte, d.h. einer Öffnung des protektionistisch verwalteten chilenischen Marktes für mulitnationale, gewinnorientierte Konzerne und drittens, Einsparungen bei den Sozialausgaben erreicht werden.

"Die Schock-Strategie" bleibt allerdings keines Falls an der Stelle stehen, die neoliberale Wirtschaftsweise der Amerikaner zu rügen. Vielmehr werden in den darauffolgenden Kapiteln an Beispielen aus Ländern von fünf Kontinenten der Erde deutlich erkennbare Methoden der US-amerikanischen Intervention in die wirtschaftlichen Angelegenheiten souveräner Staaten hervorgehoben. Das Buch wird seinem Titel gerecht, als auf die Einzelheiten der militärischen Aktivitäten in Chile - etwa beim Sturz des demokratisch gewählten Salvador Allende durch Washington - und andernorts aufmerksam gemacht wird. Das Estadio Nacional de Chile, das während der Pinochets-Nixon-Herrschaft 1973 für die Inhaftierung, Folterung und Tötung von mehr als 40.000 Gefangenen umprepariert worden ist, das sog. "Veschwindenlassen" von Oppositionellen, das scheinbar überall dort in verstärktem Maße auftaucht, wo US-Militär im Einsatz ist, um einer neuen Regierung "auf die Beine zu helfen" (und um natürlich Schulen und Brunnen zu bauen) - Sprich überall auf der Welt. Wo wir schon im Nahen Osten sind - auch der Irak wird auf knapp einhundert Seiten thematisiert.

Naomi Klein stellt dabei eine besonders gewagte Behauptung auf: Die Interventionen der Amerikaner laufen alle nach ein und demselben, händeringend um Katastrophen bettelnden, Schema ab. Zunächst trifft ein Ereignis die Bevölkerung eines Landes mitten ins Herz; Egal ob eine Naturkatastrophe wie der Tsunami 2004 oder Catrina 2005, ein selbstangezettelter Krieg wie der Nahost-Konflikt im Irak oder der Fall einer Weltmacht wie die UdSSR - die Vorraussetzung für den ultimativen Schock, ob selbstinjiziert oder der Natur geschuldet, ist die Nacktheit der Bevölkerung, die keinerlei Zeit hat, sich auf das, was kommt vorzubereiten.

Einhergehend mit der Beschuldigung der US-Regierungen der 50er Jahre bis heute, von Konflikten auf der ganzen Welt wirtschaftlich zu profitieren, findet die Kanadierin kein gutes Wort für die, vielen so unabhängig erscheinenden, Institutionen wie der Weltbank oder dem IWF (Internationaler Währungsfond). Im zweiten Schritt der liberalen Anleitung für profithungrige Regierungen dieser Welt, werden die entstandenen Kosten der geschockten Länder zum eigenen Vorteil: Die größtenteils amerikanisch infiltrierten Geldgeber dieser Welt knüpfen die Bitten nach Aufbaugeldern oder Schuldenerlass an politische Bedingungen - eben jene friedman'schen Richtlinien eines "erfolgversprechenden" Marktes: Deregulierung, Privatisierung, Kürzung von sozialen Geldern.

Auf mehr als 600 Seiten und nach unzähligen Fallbeispielen - von Argentinien bis Polen, Guatemala bis in den Libanon, Südafrika nach Ende der Apartheid oder New Orleans im eigenen Land - sowie mehr als 80 Seiten reiner Quellenangaben und Querverweisen, schafft es Klein, ihren Lesern ein anderes Bild der letzten verbliebenen Supermacht der Erde zu verschaffen. Dabei relativiert sie die Bedeutung von illusionierten Gutmenschen wie mir als selbstverständlich angesehener Werte wie Zwischenmenschlichkeit, Solidarität und Moral und wägt sie gegen eine Hand voll Gold und ein erfolgreiches Börsenjahr ab.

Um es zur Abwechslung einmal mit knappen Worten statt langer Phrasen zu schildern: "Die Schock-Strategie" beschreibt den Krisenopportunismus der amerikanischen Geschichte - damals wie heute - und ist nicht zuletzt selbst ein Schock für jeden politsch-interessierten Leser, oder jeden anderen auch. Klar machen sollte man sich eines vorab allerdings dann doch: Wer dieses Buch einmal beginnt, sollte dies nicht ohne Kuli und Textmarker im Anschlag tun - auch wenn sich "Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus" dann nicht mehr zum Weiterverkauf eignen mag.

Dienstag, 24. August 2010

Filmreview

The Beach ~ Wie geht Gesellschaft im Paradies?

Nachdem ich zuletzt nach erstaunlich vielen Di Caprio - Filmen innerhalb kürzester Zeit wieder und wieder meinen Daumen hochachtungsvoll in die Höhe strecken musste, kam mir das ganze doch ein wenig spanisch vor. Was verband ich bis dato mit dem Namen "Di Caprio". Da gab es diesen Eklat über einen Eisdielenbesitzer im beschaulichen Bad Salzuflen in Nordrhein-Westfahlen, dem der Name seiner Eisdiele einen Rechtstreit mit dem Titanic-Star bescherte, da dieser selbigen für sich haben wollte. Abgesehen davon, dass ich mir für die Zukunft merkte, meine Eisdiele niemals nach einem scheinbar übergeschnappten italienisch-amerikanischen Schauspieler zu benennen, war mir der damals 25-jährige auf Anhieb unsympathisch. Nicht, dass der zwei Jahre zuvor erschienene Film über ein Schiff und einen Eisberg das ganze bereits in eine völlige andere Richtung gelenkt hätte, vielmehr war es so, dass dieser Fauxpas mich darin bestätigte, Leonardo Di Caprio nicht zu meinen Lieblingsschauspielern zu zählen.

Nach Blood Diamond, Shutter Island und Inception und daher rührend der Erkenntnis, dass dieser Mann eben doch ein unglaublich talentierter Schauspieler ist, wagte ich mich diese Woche in die düstere Vergangenheit seiner Filmographie.

"The Beach", zur Jahrtausendwende unter der Regie Danny Boyle's gedreht (ihr kennt ihn von Trainspotting, 28 ... Later oder Slumdog Millionaire) handelt, nüchtern formuliert, von einem Ausreißer, einem Rucksacktouristen aus den USA, der versucht, in Thailand das "wahre Leben" kennenzulernen und dabei auf das Paradies trifft. Zumindest auf den ersten Blick.

Richard Fischer ist Anfang 20 und gewillt, die Fesseln des amerikanischen Alltags hinter sich zu lassen und stürzt sich, zusammen mit seinen neuen französischen Freunden Étienne (Guillaume Canet) und Francoise (Virginie Ledoyen [!]) in ein Abenteuer: Der Legende nach gibt es ganz in der Nähe der touristischen Insel Ko Samui einen Strand, eine paradiesische Lagune und obendrein Hanffelder, die grenzenlosen Genuß versprechen. Als die drei dort tatsächlich ankommen, treffen sie auf eine ganze Gruppe anderer Abenteurer, die dort seit über einem halben Jahrzehnt in friedlicher Gemeinschaft ihren großen Traum leben. Für Richard beginnt sich das Paradies zu verwirklichen, das Ansehen in der Strandgesellschaft wächst und gedeiht, und selbst die schöne Francoise scheint in dem jungen Amerikaner mehr als nur einen guten Freund zu sehen.

Nach einigen Monaten zeigt die Idylle jedoch ihr wahres Gesicht und fletscht nach einem Haiangriff auf zwei der Strandbewohner buchstäblich ihre bedrohlichen Zähne - Da das Geheimnis des Paradieses um dessen genauen Standort nicht gelüftet werden darf, kann Hilfe nicht eingeflogen werden. Im Sterben liegend stellen sich die Verwundeten nun als große Last dar und gefährden obendrei die ausgelassene Stimmung in der Strandgemeinde - Grund genug um den leidenden Christo (Staffan Kihlbom) in den Dschungel zu bringen, um ihm dort seinem Schicksal zu überlassen.

Weiter zeigt sich die Kehrseite der Medaille mit anderen Beispielen: Angelockt durch eine Kopie der Landkarte, die Richard in Ko Samui zurückgelassen hatte, treffen weitere Abenteuerlustige auf der Insel ein. Richard wird daraufhin von der Gemeinschaft verstoßen. Die bewaffneten Hanfbauern, bis dato in Einklang lebend mit den Strandbewohnern, sehen ihr gemeinsames Abkommen verletzt, sie dort in Ruhe leben zu lassen, sofern keine weiteren Bewohner hinzu kommen. Der Anführerin der "Beachtruppe" wird nun die Wahl gelassen: Wenn sie weiterhin im Paradies leben wollen, muss der schuldige Richard getötet werden...

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Auch nach Inception und wie sie alle heißen, ist ein Blick in die Di Caprio'sche Vergangenheit definitiv zu empfehlen. The Beach mag auf den ersten Blick nur einer von unzähligen Teenie-Abenteuer-Filmchen sein, der auf keinen Fall in einem Atemzug mit den im gleichen Zeitraum erschienenen Klassikern Fightclub, American Beauty oder Memento genannt werden sollte - sicherlich rührt daher auch die harsche Kritik an der zwischenzeitlich - zugegeben - sehr gewagten Genreverschiebung gegen Ende des Filmes, die zunächst tatsächlich schwer einzuordnen ist. Nichtsdestotrotz muss dieser Film als eine (gelungene) Parabel für eine Gesellschaft gelten, die frei von allen Einflüssen an ihrer eigenen vermeindlichen Sorgenlosigkeit zerbricht. So grotesk bestimmte Abschnitte des Films auch anmuten (siehe Bild), Danny Boyle bringt zur Jahrtausendwende die gleichnamige Romanvorlage des englischen Schriftstellers Alex Garland mit einem Paukenschlag in die Kinos. Empfehlenswert für Di Caprio-Fans und jene, die es noch werden wollen - gleichwohl er für die Rolle des Richard für die Goldene Himbeere nominiert worden ist -, sowie für denjenigen, der Abenteuerfilm mit Nachdenken kombinieren möchte. Und nicht zuletzt für jene, die sich einfach nur unsterblich in Virginie Ledoyen verliebt haben, die französische Schauspielerin, die in der Rolle der Francoise das männliche Publikum entzückt, und mit Sicherheit auch Teile des weiblichens nicht unberührt lässt.


The Circumstance sagt:

8/10 Virginies für einen paradiesischen Auftritt!



Dienstag, 11. Mai 2010

WARUM DIE BURKA NICHT VERBOTEN WERDEN DARF

Die Burka ist ein Kleidungsstück, das von muslimischen Frauen auf der ganzen Welt getragen wird. Grundsätzlich kann das Tragen der Burka aus unterschiedlichen Gründen erfolgen. Diejenigen, die sich für ein konsequentes Verbot der Burka in europäischen Ländern aussprechen, führen die Bedeutung der Ganzkörperverschleierung als Symbol der Frauenunterdrückung an – jene, die einem Verbot skeptisch gegenüberstehen, lassen der traditionellen, theologischen und kulturellen Bedeutung des Kleidungsstückes Aufmerksamkeit zukommen. Als unantastbare Sicherheit ist aber nur eine Kombination aus beidem zu verstehen, Frauen tragen die Burka als Resultat ihrer Unterdrückung, andere aus persönlicher Überzeugung und damit freien Willens.

In Belgien wurde am 29. April 2010 ein Gesetz im Parlament nahezu einstimmig verabschiedet (136 von 138 Abgeordneten befür-worteten es), das das Tragen von Burkas in der Öffentlichkeit, beispielsweise auf der Straße und in Fußgängerzonen, mit einem Bußgeld, und bei mehrmaligem Verstoß mit weiteren Strafen, ahndet. Dieses Gesetz muss kommenden Sommer noch vom Senat abgesegnet werden, nach ersten Prognosen wird allerdings mit keinem größeren Widerstand gerechnet.


Welche Argumente bringen Burka-Gegner und Sympathisanten dieses Gesetzesentwurfes hervor?

Zunächst interpretieren sie die Burka als ein rein politisches Symbol, messen ihr in religiöser Hinsicht keine Bedeutung bei. So argumentiert der belgische Abgeordnete Daniel Bacquelaine:

Es hat nichts mit Religion zu tun. Natürlich stehen wir hinter dem Recht auf Religionsfreiheit aber ich denke, die Burka ist kein religiöses sondern in erster Linie ein politisches Symbol. Die Burka bekräftigt viele Werte, die im Gegensatz zu weltweiten Werten stehen.

Den Fehler macht Herr Bacquelaine an der Stelle, wo er den politisch begründeten Zusammenhang zwischen Burka und antiwestlicher Gesinnung vieler Muslime nicht als Neben- sondern als Hauptgrund und darüber hinaus als einzigen Sinn des Burkatragens abstempelt. Dies ist falsch. Die Tradition der Burka erstreckt sich über unzählige Jahrhunderte in die islamische Vergangenheit. Obwohl die Symbolik der Burka in Bezug auf die traditionell verankerte Ungleichberechtigung der Frau als mehr oder weniger unbestritten gelten kann, ist nichtsdestotrotz das Tragen der Burka – aus welchem Grund auch immer – eine bei muslimischen Frauen fest etablierte Tradition und Lebensweise, dessen Verbot einen erheblichen Einschnitt zum einen in die Privatsphäre, zum anderen in die Meinungs- und Glaubensfreiheit bedeutet.

Das Argument, die Burka diene – wie auch die arabische Niqab – der Unterdrückung der Frau und bedeute für sie die Verhinderung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, lässt sich mit der Forderung eines allgemeinen Verbotes nicht in Einklang bringen. Ein muslimischer Mann, der seine Frau dazu zwingt, sich täglich in eine Burka zu hüllen, hat ebenso die Mittel, seine Frau oder z.B. auch Schwester am Verlassen des Hauses zu hindern. Ein Verbot würde in diesem Fall die Menschenrechte, die es durchzusetzen versucht, indirekt weiter beschneiden und darüber hinaus auch der Vielzahl an freiwilligen Trägerinnen das Leben erschweren; Man versetze sich in eine Frau, die aus Überzeugung und Pflichtbewusstsein gegenüber ihrer Religion seit Jahrzehnten nur in Burka die Straßen ihrer europäischen Heimatstadt betritt – die Drohung einer Haftstrafe soll diese Frau nun dazu veranleiten, für eine intolerante Gesellschaft einen massiven Einschnitt in ihre bisherige Lebensweise zu dulden. Sofern die gänzliche Ausschließung der weiblichen muslimischen Minderheit in Europa nicht das eigentliche Ziel ist, kann dies nicht das Argument sein, durch welches ein belgischer Politiker guten Gewissens ein solches Verbot zu unterstützen bereit ist.

Weiter argumentieren die Befürworter, dass die innere Sicherheit des Landes gefährdet sei, sollte sich die Anzahl der Burkas erhöhen. Durch Kameraüberwachung sei nicht länger gewährleistet, jeden Menschen zu jedem Zeitpunkt identifizieren zu können. Beispiele aus der Vergangenheit belegen aber, dass mithilfe simpler, „legitimer“ Vermummung – beispielsweise durch das Tragen von Cappy, Schal, hochgestelltem Kragen und Sonnenbrille – der Kameraüberwachung an Flughäfen und Bahnhöfen zu entgehen kein allzu schweres Unterfangen ist. Ein Terrorist wäre durch ein Verbot der Burka, zumal er in aller Regel männlichen Geschlechtes ist, in keinster Weise benachteiligt – im Gegenteil: ein solches Verbot dürfte nachvollziehbarerweise für Aufschrei und Wut bei radikalen Islamisten dieser Welt sorgen und die Spannungen zwischen der westlichen und der islamischen Welt weiter verschärfen.

Ein Umstand, der die Glaubwürdigkeit des belgischen Parlaments zudem in Frage stellt, ist die Tatsache, dass eine richtige Staatsführung in dieser Form nicht existiert, da in Folge von internen Streitereien die VLD im April diesen Jahres ihren Rückzug aus der Regierung bekannt gab. Kurz vor den Neuwahlen, die wahrscheinlich im Juni stattfinden werden, könnten die Bemühungen um ein Burkaverbot, ein symbolisches Unterfangen, von welchem man sich viel Anklag und Zustimmung in der belgischen Bevölkerung erhofft hatte, aus rein strategischer Sicht zu bewerten sein. Darüber hinaus ist beachtlich, dass die betroffenen burkatragenden Frauen in Belgien gerade einmal auf ein paar Dutzend geschätzt werden, was die Frage nach der Dringlichkeit dieses Gesetzesentwurfes aufwirft.

Interessant sind auch die Umfragen in der Bevölkerung unterschiedlicher EU-Mitgliedsstaaten, durchgeführt von der „Foundation BBVA“. Auf die Frage, ob sie das Tragen der Burka im eigenen Land tolerieren, antworteten 56,6% der befragten Dänen und 46,5% aller schwedischen Befragten mit 'Ja' und bilden in diesem Belangen die Spitze Europas – ähnlich wie beim kontrovers diskutierten Pisatest.

Warum darf die Burka nicht verboten werden?

Wir, die westliche Hemisphäre, neigen dazu, mit zweierlei Maß zu messen. In der Debatte um den Minderheitenschutz von Migranten richten wir zur Rechtfertigung unserer teils radikalen Ansichten den Blick gerne auf die Situation von Europäern in islamischen Ländern. Das Argument, Toleranz nicht überbewerten zu müssen, da europäischen Touristen beispielsweise in muslimischen Moschéen das Fotographieren oder das Tragen von kurzen Hosen verboten wird, wird als Rechtfertigung verstanden – auch im Streit um die Burka. Dabei fällt vielen nicht auf, dass die jeweiligen Einschnitte, zum einen auf Seiten der Moslems in Europa, zum anderen auf Seiten der Europäer in muslimischen Staaten, nicht miteinander zu vergleichen sind. So werden wir durch diese Verbote im Gegensatz zu den hier integrierten Islam-Anhängern nicht in grundlegenden Menschenrechten eingeschränkt, müssen nicht unsere Lebensideologie umwerfen oder gar eine andere Kultur adaptieren. Prinzipiell herrscht das Problem vor, dass ein undefinierbares, paranoides Unbehagen einer oberflächlichen, intoleranten Gesellschaft stärker ins Gewicht fällt, als die drastischste aller Verletzungen, die ein Mensch erleiden kann – die Menschenrechts-verletzung – gegenüber einem Individuum.

Eine Debatte, die so Grundlegendes in Bezug auf unsere Gesellschaft beinhaltet, wird dadurch kurzerhand per Verbot unterbunden, welches in Bezug auf die Nachhaltigkeit der Problemlösung erhebliche Mängel aufweist. Desweiteren gilt es nicht den Finger auf die Intoleranz anderer Länder zu richten, um die eigene zu rechtfertigen. Nach demokratischer Überzeugung sollte es universell geltende ideologische Vorstellungen und Rechte geben, die jedem Menschen – unabhängig von Herkunft und Glauben – ein humanes Leben ermöglichen. Nach politischen Antworten auf westliche Fragen in Nah- und Fernost zu suchen, liegt uns doch sonst auch fremd, warum also nicht in dieser Angelegenheit? Vermutlich ist es ein willkommenes Geschenk, gleiches mit gleichem vergelten zu können. Wie sagte schon die Bibel, „Auge um Auge, Zahn um Zahn“...